„Mein Interesse an der Psychotherapie hat in mir das Interesse an jeder Art von hilfreichen Beziehungen geweckt. Mit diesem Begriff meine ich eine Beziehung, in der zumindest eine der Parteien die Absicht hat, beim anderen Entfaltung, Entwicklung, Heranreifung, besseres Agieren, ein verbessertes Fertigwerden mit dem Leben zu fördern. Die andere Partei kann in diesem Sinne ein Einzelner oder eine Gruppe sein.
Oder so formuliert: als hilfreich läßt sich vielleicht eine Beziehung definieren, in der einer der Teilnehmer bestrebt ist, für eine oder beide Parteien dahin zu gelangen, daß die latenten inneren Ressourcen des Individuums höher geschätzt, nachhaltiger ausgedrückt und wirksamer gebraucht werden.“ Carl R. Rogers
Willkommen zum dritten Beitrag unserer wöchentlichen Reihe von Zitaten und Aphorismen zu den Themen Klientenzentrierte Gesprächstherapie und Beratung, Personzentrierter Ansatz, Psychotherapie, Psychohygiene, psychische Gesundheit, persönliche Entwicklung und überhaupt das „gute Leben“ allgemein.
Psychotherapie, so wie sie vom Personzentrierten Ansatz verstanden wird, ist in ihrem Kern das Angebot einer wachstums- und entwicklungsfördernden Beziehung. Den Vorstellungen der humanistischen Psychologie folgend geht es in keiner Weise darum, als Therapeut den Klienten zu „reparieren“ bzw. zu manipulieren. Es geht vielmehr darum, als Therapeut eine unterstützende Haltung einzunehmen, die es dem Klienten ermöglicht, sein Leben zu verbessern – und zwar mithilfe der Ressourcen und Möglichkeiten, die der Klient selbst mitbringt. Somit werden auch negative Verhaltensmuster oder Symptome psychischer Erkrankung überwunden.
Rogers und seine Mitarbeiter haben in ihren Forschungen die Erfahrung gemacht, dass wesentliche menschliche Entwicklung immer in Beziehungen passiert. Damit decken sich diese Erkenntnisse mit den neueren Forschungsergebnissen der Neuropsychologie und der Bindungsforschung. Dort wird nämlich gezeigt, dass der Mensch sich stets in Beziehung zu anderen entwickelt – der Mensch ist durch und durch ein soziales Wesen.
Doch nicht jede Beziehung ist hilfreich bzw. fördernd. Im Gegenteil, die allerwenigsten Beziehungen in unserem Leben, sei es zu Freunden, Kollegen oder Familienmitgliedern, bieten uns jene idealen Rahmenbedingungen, die man braucht, um in einer tiefen Weise zu sich selbst zu kommen. Oft haben wir nicht die Möglichkeit bzw. die innere Freiheit, uneingeschränkt mit jemanden über alles zu sprechen, was uns innerlich bewegt oder besorgt. Auch wenn die Freundschaft noch so tief ist, beruht sie auf einer Gegenseitigkeit des Gebens und Nehmens. Immer gibt es Eigeninteressen und persönliche Verstrickungen. Das blockiert oft die Fähigkeit, tief zuzuhören und wirklich zu verstehen – ohne zu bewerten und zu (ver)urteilen.
Beziehungen in der Familie und zu Freunden bauen auf Kontinuität und Vorhersagbarkeit. Veränderung ist da oft gar nicht so sehr erwünscht. Oft herrscht die Devise: „Bitte bleib so, wie du bist!“ (vielleicht auch wenn es dir damit gar nicht so gut geht. Für mich ist es jedenfalls besser so!)
In solchen Beziehungsgeflechten ist es fast unmöglich, sich gänzlich so zu zeigen, wie man wirklich ist. Dies führt dazu, dass ich auch nicht wirklich entdecken kann, was da alles an Schätzen, Möglichkeiten und Potentialen in mir verborgen ist. Notwendige Entwicklungsschritte werden möglicherweise unterdrückt.
Natürlich sind unsere engen Beziehungen wichtige Ressourcen für ein erfülltes Leben – dies möchten wir keinesfalls anzweifeln. Und doch braucht es manchmal auch etwas anderes: eine Beziehung zu jemanden, der eine große Distanz zu meinem privaten Beziehungsnetz hat. Eine Person, die in diesem Moment uneingeschränkt nur für mich da ist. Die sich bemüht, mich echt und authentisch zu verstehen und mir dadurch hilft, mich selbst besser zu entdecken. Diese Art von Person zu sein, ist die Aufgabe von klientenzentrierten Therapeuten.
Literatur:
Rogers, C.R. (1961/2009). Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. Stuttgart: Clett-Kotta. S. 53.