Alles lärmt; und wie man von einem hochprozentigen Getränk sagt, es bringe das Blut in Wallung, so ist in unserer Zeit alles, selbst die unbedeutendste Handlung und die nichtssagendste Mitteilung, bloß darauf ausgerichtet, die Sinne zu erschüttern oder die Masse, die Menge, das Publikum, den Lärm zu erregen!
Und der Mensch, dieser gescheite Kopf, ist gleichsam schlaflos geworden, um immer neue Mittel zu erfinden, um den Lärm zu verstärken und mit größtmöglicher Hast und im größtmöglichen Maßstab den Krach und das Nichtssagende zu verbreiten.
Ja, das Umgekehrte ist sicher bald erreicht: Die Mitteilung ist bald auf das niedrigste Niveau an Bedeutung gebracht, gleichzeitig haben die Mitteilungsmittel wohl das höchste Niveau an Schnelligkeit und alles überschwemmender Verbreitung erreicht; denn was hat wohl solche Eile herauszukommen, und auf der anderen Seite, was hat denn eine größere Verbreitung als: Gequatsche! O, schafft Stille! Sören Kierkegaard (1851)
Der Existenzphilosoph Sören Kierkegaard schrieb diese Zeilen im Jahre 1851 in seiner Heimatstadt Kopenhagen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Kierkegaard erträumen konnte, wie sich die Dinge entwickeln würden. Bereits im 19. Jahrhundert empfand er seine Umgebung als lärmend und er sah den Menschen als ständigen Verursacher dieses Lärms. Er sah, wie die Mitteilung, das Wort zunehmend an Bedeutung verlor. Seine Worte jedoch treffen mich ins Herz, denn sie machen mir den Lärm bewusst, dem ich die ganze Zeit über ausgesetzt bin. Sie zeigen auf, wie wir uns durch Bedeutungslosigkeiten erregen lassen, uns buchstäblich mit offenen Armen überreizen und dabei das Gefühl haben, es müsse so sein. Tatsächlich sind wir schlaflos geworden. So viele Menschen, mit denen ich zu tun habe, können nicht mehr schlafen. Sie können keine Ruhe, keine innere Beruhigung mehr finden. Das Wesentliche kann nicht mehr als solches erkannt werden. Die Folge daraus ist, dass alle auf Ablenkung setzen. Die Devise ist: „Lenke dich nur genug ab, dann wird schon alles gut sein. Und am besten ist, wenn du dabei auch noch produktiv bist!“ Und ja, der Mensch möchte nützlich sein. Der Großteil von uns leidet unendliche Qualen, wenn sich das Gefühl der Nutzlosigkeit und Bedeutungslosigkeit breit gemacht hat. Viele glauben das nicht – aber sie kennen die Menschen einfach nicht! So gehen sie in die Falle und ihre Ablenkung wird zur Produktivität. Zu immer lärmenderer Produktivität.
Unsere Mitteilungen haben eine unendliche Geschwindigkeit erreicht und wie Kierkegaard sagt, das Meiste davon ist in Wahrheit bedeutungsloses Gequatsche oder aufwühlende Falschheit. Dieses trägt wiederum zur Entfremdung des Menschen von sich selbst bei. Manche meinen: Speed kills. Anders gedacht macht Geschwindigkeit in vielen Lebensbereichen aber einfach nur oberflächlich und stumpf.
Mich in solchen Gedanken verlierend, erinnere ich mich an meine Zeit in einem Zen-Kloster, nicht weit von Kyoto entfernt. Das Kloster war ganz versteckt, mitten in den Bergen, welche ein Küstendorf umgaben. Wir waren eine kleine Gemeinschaft – der Meister, zwei Schüler und ich. Während der mehrtägigen Übungsperioden war das Sprechen untersagt. Wir standen um vier Uhr morgens auf und gingen um zehn Uhr abends zu Bett. Die Zeit dazwischen wurde mit stiller Sitzmeditation gefüllt, welche nur für die Essenspausen unterbrochen wurde. Es war das absolute Gegenteil von dem, was wir heute doch so gewohnt sind, nämlich ständig von Lärm und Geschäftigkeit umgeben zu sein. Sich der hämmernden Stille hinzugeben ist keine leichte Aufgabe. Auch die Ruhe muss gelernt und verinnerlicht werden, auch sie muss ertragen werden können. Die Gemeinschaft hilft dabei, still zu werden.
Es geht nicht nur um äußere Stille, wesentlich ist die innere Stille. Diese ist noch viel schwieriger zu finden, als die Stille im Außen. Aber mit der Zeit und viel Geduld stellt es sich dann ein, dieses seltsame Gefühl der inneren Ruhe. Und wo zuerst innere Abwehr war, ein Aufbäumen des Geistes gegen die Ruhe in sich selbst, da entsteht nun eine freundschaftliche Haltung, welche die Stille als gebetenen Gast eintreten lassen kann. Die Gedichte von Meister Ryokan sind ein Beispiel dafür, wie wir sein können, wenn wir zu unserer inneren Stille finden:
Winter – im elften Monat,
der Schnee fällt dicht und schnell.
Tausend Berge, eine Farbe.
Wenige Menschen in der Welt gehen diesen Weg.
Dichtes Gras verbirgt die Tür.
Die ganze Nacht Stille, ein paar Holzscheite
verbrennen langsam,
Während ich die Gedichte der Alten lese.
Meister Ryokan