„Die Umstände haben mich nach und nach gelehrt, dass ich einem Menschen in psychischer Bedrängnis mittels irgendeines intellektuellen Verfahrens oder Trainings nicht hilfreich sein kann. Kein Ansatz, der sich auf Wissen, auf Training, auf die Annahme irgendeiner Lehre verlässt, kann von Nutzen sein. Diese Ansätze scheinen so vielversprechend und direkt zu sein, dass ich in der Vergangenheit viele davon ausprobiert habe. Es ist möglich, einem Menschen eine Erklärung seiner selbst zu geben, Schritte zu verschreiben, die ihn vorwärts führen, ihm Kenntnisse über einen befriedigenden Lebensmodus vermitteln müssten. Aber solche Methoden sind meiner Erfahrung nach nutz- und folgenlos. Das höchste, was sie erreichen können, ist eine temporäre Veränderung, die bald verschwindet und den Einzelnen überzeugter denn je von seiner Unfähigkeit zurücklässt.
Das Misslingen eines jeden solchen intellektuellen Ansatzes hat mich zu der Erkenntnis gezwungen, dass wirkliche Veränderung durch Erfahrung in einer Beziehung zustande kommt.“ Carl R. Rogers
Dies ist der Auftakt unserer wöchentlichen Reihe von Zitaten und Aphorismen zu den Themen Klientenzentrierte Gesprächstherapie und Beratung, Personzentrierter Ansatz, Psychotherapie, Psychohygiene, psychische Gesundheit, persönliche Entwicklung und überhaupt das „gute Leben“ allgemein.
Unser Anliegen ist es, zum Nachdenken, Weiterdenken und Philosophieren über die Ideen und Gedanken anderer Menschen anzuregen. Wir wählen hierzu Zitate und Aphorismen aus, die uns besonders interessant erscheinen und kommentieren sie aus unserer Sicht.
Als erstes Zitat in der KW 26/2017 möchten wir eines von Carl R. Rogers nehmen. Carl R. Rogers ist der Begründer des Klientenzentrierten bzw. Personzentrierten Ansatzes in der Psychotherapie. Das Zitat stammt aus seinem Buch mit dem Titel „On becoming a Person“ und wurde von uns übersetzt. Der deutsche Titel des Buches lautet „Entwicklung der Persönlichkeit“.
Wie so oft geht Rogers in diesem Zitat von seiner eigenen, persönlichen Erfahrung aus. Auch wenn er als einer der ersten Psychotherapiewissenschafter immer darum bemüht war, seine Hypothesen empirisch zu belegen und wissenschaftlich überprüfbar zu machen, war es ihm stets ein Anliegen, sein Denken niemandem aufzuzwingen und als dogmatisch hinzustellen. Es ging ihm vielmehr darum, Erfahrungen zu teilen.
Dieses Zitat beinhaltet bereits eine der Kernfragen, die Rogers sich immer wieder gestellt hat. Er wollte einfach wissen: Was hilft dem Menschen wirklich, sich persönlich zu entwickeln, das Leben und die damit verbundenen Lebenskrisen befriedigend zu bewältigen?
Der Markt an „professionellen Lösungen“ für persönliche Probleme boomt, heute sogar noch mehr als zu Rogers‘ Zeiten. Selten haben wir jedoch Menschen getroffen, die davon erzählten, dass eine dieser „Lösungen“ eine wirkliche und tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben bzw. in ihren Beziehungen zu anderen Menschen bewirkt hätten – und zwar langfristig. Oft gab es einfach nur kurzfristige Effekte, ähnlich einer Diät, deren Wirkung durch den Jojo-Effekt wieder zunichte gemacht wurde.
Manchmal passiert es, dass eine dieser vermeintlichen „Lösungen“ den Platz eines Glaubenssystems einnimmt. Dann geht es oft nicht mehr darum, eine wirkliche persönliche Entwicklung durchzumachen, die einem auch selbst gehört, sondern vielmehr die Verantwortung für sich selbst an eine Institution oder Idee abzugeben. Das Problem wird also lediglich verschoben. Im Inneren leidet der Mensch jedoch weiter, oft ohne zu wissen, woran es wirklich liegt.
Für Rogers ist Veränderung nicht grundsätzlich an intellektuelle Erkenntnis gekoppelt. Der Mensch muss viel mehr in seiner Ganzheit als biologischer Organismus, als ein in die Welt integrierter Körper mit eigenen Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken verstanden werden.
Es stellt sich die Frage, wie man die Person, also das Individuum, so stärken kann, dass es selbstbewusst und kreativ eigene Wege zur Bewältigung seiner Lebensprobleme finden kann? Rogers‘ und unserer Erfahrung nach sind es sichere, vertrauensvolle, wertschätzende und tiefgehende Beziehungen, die der Mensch als wesentliches Hilfsmittel benötigt, um echte und nachhaltige Veränderung in seinem Erleben zu bewirken.
Oft fehlt es jedoch gerade in Krisensituationen an solchen hilfreichen Beziehungen. Viele Menschen stehen dann vor dem Problem, in ihrem Umfeld niemanden zu haben, der ihnen wirklich zuhört – die Menschen geben gerne ihren „eigenen Senf“ dazu und wollen allzu schnell zu einer „raschen Lösung“ verhelfen.
In diesem Fall ist es unsere Aufgabe, in der Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie eine heilsame, therapeutische Beziehung herzustellen, die auf möglichst vielen Ebenen des persönlichen Erlebens wirkt und in weiterer Folge Entwicklung ermöglicht. Die Klienten entdecken ihre eigenen, höchst persönlichen Lösungswege – und wir sind immer wieder erstaunt darüber, wie kreativ und nachhaltig diese sind.
Literatur:
Rogers, C. R., 1961/1995. On becoming a Person. A Therapist’s view of Psychotherapy. In eigener Übersetzung. New York: Mariner books, S. 32f