In den verschiedenen Richtungen der Psychotherapie wird in der Theorie von unterschiedlichen Menschenbildern ausgegangen, die als Grundlage des professionellen Handels gelten. Menschenbilder sollen die Natur des Menschen beschreiben und beschäftigen sich mit Fragen wie: Was macht den Menschen aus? Ist er im Grunde gut oder böse? Was sind seine Werte, seine Ziele? Hat er einen freien Willen? Und ganz wichtig für den psychotherapeutischen Prozess: Wie geschieht Veränderung?
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Ö1 Radiosendung „Radiokolleg“ (siehe Quelle unten).
Das Menschenbild, mit dem wir uns am meisten beschäftigt haben und auf das wir uns in unserer therapeutischen Arbeit stützen, ist das Menschenbild der humanistischen Richtungen (siehe weiter unten).
Das Menschenbild in tiefenpsychologischen Richtungen:
Im verhaltenstherapeutischen Menschenbild (siehe weiter unten) wird davon ausgegangen, dass das menschliche Verhalten weitgehend durch Konditionierungen und Prägungen beeinflusst ist. In der Tiefenpsychologie geht man mehr von der Beeinflussung des Unbewussten aus. In der Psychotherapie sollen Erfahrungen von früher durch eine neue Beziehungserfahrung mit dem Therapeuten korrigiert werden. Das psychoanalytische Menschenbild ist jedoch – anders als beim humanistischen, wo ebenfalls die Beziehungserfahrung mit dem Therapeuten im Fokus ist – weniger optimistisch. Es wird durchaus auch das Böse im Menschen betont. Laut Sigmund Freud ist der Mensch mit seiner Umwelt in einem Kampf; er wird geleitet von Instinkten, Ängsten und Trieben.
Sigmund Freud war kein Optimist, war jedoch überzeugt davon, dass Psychoanalyse den Menschen ins Positive verändert. Dies zeigt Freuds Idealismus – er hatte durchwegs eine „höhere“ Ethik als andere zu seiner Zeit. Nach der ersten (Kopernikus) und zweiten (Darwin) „Kränkung der Menschheit“ beschrieb Freud die dritte: der Mensch sei ein Triebwesen und „nicht Herr im eigenen Haus“.
Die psychoanalytische Schule und ihr Menschenbild hat seit Freud eine große Weiterentwicklung gemacht. Während es früher im Grunde darum ging, Unbewusstes bewusst zu machen, wird heute daran gearbeitet, die Organisationsstruktur der Persönlichkeit zu verändern. Der Mensch soll dabei „eigener Herr im Hause“ werden.
Das Menschenbild in verhaltenstherapeutischen Richtungen:
Das Menschenbild des Behaviorismus beruht auf Erkenntnissen der wissenschaftlichen Psychologie. Im ganz ursprünglich behavioralen Sinne wurde der Mensch als Produkt seiner Gene und Umwelteinflüsse gesehen. Da das Seelenmuster nicht messbar ist, wurde nur das Verhalten des Menschen im Sinne eines Reiz-Reaktions-Musters erforscht. Im Menschenbild wird davon ausgegangen, dass Verhaltensweisen erlernt sind und dadurch wieder verlernt werden können. Es geht in der Therapie darum, wie das Verhalten des Menschen verändert/korrigiert werden kann.
Das verhaltenstherapeutische Menschenbild ist ein optimistisches. Anders als im Humanistischen, wo der Mensch von sich selbst heraus zu Veränderung fähig ist, gibt es in der Verhaltenstherapie auch Ratschläge – jemand (TherapeutIn) greift von außen zur Veränderung ein. Schlagworte des Menschenbildes sind Symptome und Schemata.
Die Verhaltenstherapie durchlief und durchläuft eine große Entwicklungsgeschichte. So fanden Brüche zur Naturwissenschaft statt; in den 70er Jahren sprach man von der „kognitiven Wende“: der Mensch ist in seine Umwelt eingebettet und ein „Museum“ seiner Geschichte. Dadurch wurde eine Brücke zu den Geisteswissenschaften geschlagen und es entstand ein Wertepluralismus.
In der Therapie folgt auf die Problemanalyse eine Zieldefinition und eine entsprechende Methodenauswahl. Viele heutige Therapien beziehen jedoch auch körperorientierte Verfahren und Achtsamkeitsübungen mit ein. Verhaltenstherapie lässt sich nicht mehr „über einen Kamm scheren“.
Das Menschenbild in systemischen Richtungen:
Die Welt wird als veränderbar gesehen und soll für den Menschen auch so erscheinen. Im Systemischen gibt es kein fixes Menschenbild – der Mensch soll offen sein für das, was er/sie werden will. Die systemische Richtung wurde stark beeinflusst von der konstruktivistischen Wende, wo ein Menschenbild nicht mehr interessant erschien (Konstruktivismus geht davon aus, dass ein erkannter Gegenstand vom Betrachter selbst durch den Vorgang des Erkennens konstruiert wird). Die systemische Therapieschule unterscheidet sich insofern von den anderen Schulen, als dass es keine/n GründerIn gibt und unterschiedliche Richtungen wie Biologie, Soziologie und Philosophie mitwirken.
In der systemischen Betrachtung werden Elemente eines Systems nicht voneinander abgegrenzt, sondern als Teile eines Ganzen gesehen. In der therapeutischen Behandlung wird das ganze System eines Menschen in Betrachtung gezogen und Muster, Zusammenhänge zwischen einzelnen Mitgliedern etc. erkannt. Das isolierte, eigene Ich tritt in den Hintergrund.
Das systemische Menschenbild verfügt grundsätzlich über eine positive Haltung: der Mensch wird in einer Bewegung zum Sinnhaften gesehen, sein System bewegt sich auf Lösungen hin. Damit ist dieses Bild vom humanistischen Menschenbild nicht ganz abgrenzbar.
Die Identität eines einzelnen wird nicht nur durch einen selbst bestimmt sondern vor allem durch die Umwelt. Diese Ansicht stellte eine Errungenschaft dar, da z.B. ein Kind durch sein Familiensystem gestört wird und nicht an sich gestört ist („Symptomträger“). Generell betont das Systemische die Möglichkeiten und Ressourcen eines Menschen; der/die TherapeutIn sieht einerseits mit den Augen des/r Klienten/in und andererseits von außen auf das System.
Das Menschenbild in humanistischen Richtungen:
Das Menschenbild der humanistischen Richtungen geht davon aus, dass der Mensch über potentiell unerhörte Möglichkeiten sich zu entfalten und zu entwickeln verfügt, wenn er sich in einem speziellen Klima befindet. Der/die TherapeutIn stellt solch ein Klima zur Verfügung.
Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile – er ist zielgerichtet, in Beziehung und kann entscheiden; er ist frei im Handeln, konstruktiv und vertrauenswürdig. Prinzipiell hat der Mensch alles in sich um sich zu entwickeln; um davon Gebrauch zu machen, braucht es ein Klima der Wertschätzung, der Akzeptanz und des Verstehens.
Im therapeutischen Vorgehen wird auf das Hier und Jetzt fokussiert. Mit einer authentischen und kongruenten Haltung begleitet der/die TherapeutIn den anderen in seinem „So-Sein“. Es ist die Beziehung, die heilt – und das genügt. Im Gegensatz zu andern Therapieschulen, wo ebenfalls die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung betont wird, werden keine zusätzlich Methoden daraufgesetzt. In der humanistischen Haltung wird der/die TherapeutIn selbst zum Werkzeug.
Schlussbemerkung: In der Sendung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine klare Abgrenzung der einzelnen Menschenbilder nicht mehr gegeben werden kann. Therapieschulen entlehnen mehr und mehr voneinander – vielleicht wird eine Trennung der Schulen in Zukunft einmal obsolet werden. Weiters soll darauf hingewiesen werden, dass in der Sendung hauptsächlich Peter F. Schmid, ein personzentrierter Psychotherapeut und Jochen Fahrenberg, ein Psychologe, Philosoph und Soziologe zu Wort kamen.
Quelle: Ö1 Radiosendung Radiokolleg – Menschenbilder in der Psychotherapie; Sendungen vom Montag, 5. Mai 2014 bis Donnerstag, 8. Mai 2014.