Jede Beziehung sollte ein zweispuriger Weg sein. Die „Gegenspur“ im Auge zu behalten heißt, den anderen zu sehen, ihm dies auch zu zeigen, ein Stück weit seine Befindlichkeit zu erkennen und sich auf ihn einzulassen. Dies kann es mir ermöglichen zu verstehen, wohin er will und was seine Motive sind. Auf der eigenen Spur des Weges sollte sich aber – dies ist durchaus nicht immer der Fall! – ebenfalls jemand befinden: man selbst. Auch man selbst sollte darauf achten, gesehen, das heißt als Person erkannt zu werden, auch man selbst wünscht sich Interesse, Anteilnahme und möchte das Gefühl haben, andere bemühen sich darum, dass man verstanden wird. Dazu muss man selbst einen aktiven Beitrag leisten: Man muss den Mut haben, zu signalisieren, was man will und welche Vorstellungen und Absichten man hat. Man könnte den beiden Spuren einer Beziehung einen Namen geben. Die Gegenüber repräsentiert das Verstehen, die eigene Fahrspur bedeutet Man-selbst-Sein und zu seiner Überzeugungen stehen. Joachim Bauer (Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut)
Willkommen zum vierten Beitrag unserer wöchentlichen Reihe von Zitaten und Aphorismen zu den Themen Klientenzentrierte Gesprächstherapie und Beratung, Personzentrierter Ansatz, Psychotherapie, Psychohygiene, Paartherapie, psychische Gesundheit, persönliche Entwicklung und überhaupt das „gute Leben“ allgemein.
Das Prinzip der „Zweispurigkeit“, das Joachim Bauer hier anspricht, ist in unseren Augen oft eine wichtige Voraussetzung, um Beziehungsprobleme partnerschaftlich zu lösen: Bei der Suche nach konstruktiven Lösungen ist es notwendig, dass man sowohl die eigenen Bedürfnisse und Wünsche als auch die des Partners gut versteht und anerkennt.
Oft sehen wir in Paartherapien, dass dieses grundlegende Beziehungsverständnis der „Zweispurigkeit“ nicht gegeben ist. Manche tun sich schwer, die Bedürfnisse des Partners zu „erspüren“ – oft gar nicht aus Böswilligkeit oder Egoismus heraus, sondern schlicht, weil der Partner seinerseits Schwierigkeiten hat, sich klar und deutlich auszudrücken. Es ist also irgendwie ein verzwickter Kreislauf: ein Partner kann sich nicht so deutlich ausdrücken (weil er vielleicht selbst nicht weiß, was in ihm vorgeht), dadurch kann der andere nicht so gut auf ihn eingehen, dadurch fühlt sich der andere zurückgesetzt, dadurch wiederum wird der andere wütend/unsicher/ gekränkt und so weiter. Die Beziehung scheint in einer Sackgasse angekommen zu sein. In Paartherapien haben wir in solchen Fällen dann immer wieder die Situation, dass beide dasitzen und hoffen, vom jeweils anderen „gerettet“ zu werden, denn wozu sonst hat man denn eine Beziehung? Der andere sollte mich doch kennen und wissen, was ich brauche!
Manche Paare gehen also davon aus, dass sie sich bereits ausreichend kennen und sozusagen jeder weiß, was im anderen vorgeht. Die vielleicht „wahren“ Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen bleiben aber im Verborgenen. Dann passiert es, dass sich Partner gegenseitig die Schuld an der misslichen Lage geben: „Du weißt doch, was mein/unser Problem ist und doch bist du so zu mir. Du liegst falsch und willst nicht anerkennen, dass ich richtig liege! Du bist ein schlechter Partner/ eine schlechte Partnerin!“ Solche und ähnliche Sätze fallen dann.
Doch ist das wirklich so? Kann ich davon ausgehen, dass nur weil ich mit jemandem 5, 10 oder 20 Jahre zusammen bin, ich diese Person wirklich kenne und verstehe? Auch wenn wir uns noch so sehr wünschen, dass das so funktioniert: die Erfahrung zeigt, dass wir, ob wir nun wollen oder nicht, in einem ständigen Entwicklungsprozess eingebettet sind. Mein Partner ist nicht der, der er vor fünf Jahren war. Und ich bin nicht die, die ich vor fünf Jahren war. Mittlerweile bin ich vielleicht in eine ganz andere Lebensphase eingetreten – und mein Partner hat das gar nicht so mitbekommen – oder auch ich selber habe meinen Entwicklungsprozess gar nicht so klar wahrgenommen. Beide Partner ahnen irgendwie, dass sich etwas verändert hat, aber es fehlen oft die Worte, gut, ausführlich und partnerschaftlich darüber zu reden.
Paare kommen zu uns, weil irgendwann der Druck zu groß geworden ist. Es kann nicht mehr übersehen werden, dass die Beziehung nicht mehr so läuft, wie es sich die Partner wünschen. Manche Paare streiten dann sehr häufig, andere wiederum reden kaum mehr miteinander. Bei manchen schläft die Sexualität (ein), bei anderen passiert ein Seitensprung. Das Paar spürt emotionale „Entfremdung“. Was auch immer es ist, die oft schmerzhafte Erkenntnis, dass gerade etwas schief in der Partnerschaft läuft, kann nicht mehr zurückgehalten werden.
Wer sich auf eine Klientenzentrierte Paartherapie oder Paarberatung einlässt, macht sich nach und nach mit den zwei Spuren einer gelingenden Beziehung vertraut: Man lernt nicht nur sein Gegenüber, also seinen Partner, besser zu verstehen, sondern auch sich selbst – mit den eigenen Werten und Bedürfnissen. Beziehungsprobleme, die zwischen den Partnern stehen, sie entfremden und Wut, Enttäuschungen und Verwirrung schaffen, können ans Tageslicht treten. Das Paar kann in einer vertrauensvollen und geschützten Atmosphäre über die Schwierigkeiten offen reden und sich selbst und den anderen verstehen lernen.
Dies öffnet das Tor zu einer neuen „Verhandlungsbasis“. Abseits von gegenseitigen Beschuldigungen und Verletzungen können Schwierigkeiten und Probleme auf neue Weise gelöst werden. Eine wesentliche Voraussetzung dabei ist jedoch, dass wirklich beide Partner diesen Prozess gemeinsam gehen wollen – nur so kann Paartherapie wirklich funktionieren.
Literatur:
Bauer, J. (2008) , Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren, München: Heyne Verlag, S.196