In der Gesprächstherapie (auch klientenzentrierte Therapie genannt) gibt es ein großes Vertrauen in die dem Menschen innewohnenden Fähigkeiten, sich selbst zu lenken und gute Entscheidungen für sich und seine Umwelt zu treffen. Auch wenn dieses Potenzial manchmal verschüttet ist, kann es durch „Nicht-Direktive“ Gespräche wieder aktiviert und in Fluss gebracht werden.
Um Nicht-Direktivität zu beschreiben, ist es vielleicht hilfreich, zuerst auf „Direktivität“, also das Gegenteil, einzugehen. Mit Direktivität sind jene Methoden und Strategien gemeint, die dem Menschen von außen sagen, was für ihn richtig und erstrebenswert ist. Wir alle wissen, wie direktive Sätze beginnen: „Sie sollten …“, „Sie sind …“, „Wenn Sie nicht …., dann …“, „Ich an Ihrer Stelle, …“, „Es wäre klug, wenn Sie, …“, „Sie müssen, …“, „Sie dürfen nicht …“. Damit soll Einfluss auf Denken und Handeln genommen werden. Der Sprecher tritt als Autorität auf, die uns Ratschläge und Anweisungen gibt, welche zu einer Änderung in unserem Verhalten oder Fühlen führen sollen.
Nun sind solche direktiven Sätze in einigen Situation hilfreich, besonders wenn es um körperliche Erkrankungen geht. Wenn es jedoch um seelische Konflikte und belastende Situation geht, ist „Direktivität“ keine hilfreiche Strategie. Im Gegenteil, wenn wir dann versuchen, die Anweisungen zu „befolgen“ und es uns trotzdem nicht wesentlich besser geht, haben wir den Eindruck, etwas „falsch“ zu machen.
Vor kurzem traf ich eine Arztassistentin, die nahezu verzweifelt darüber war, dass die Patienten und Patientinnen ihre Ratschläge und Anweisungen, die sie ihnen für eine gesündere Lebensführung gibt, nicht annehmen. Irritiert sagte sie, dass selbst die Anweisungen des Herrn Doktor oft ignoriert werden. Solche Beispiele sind Indizien dafür, dass der Mensch sich nur ungern befehlen lässt. Wenn sich Menschen unterwerfen, dann passiert das oft nur, weil die unterwerfende Autorität als übermächtig gesehen wird und wir das Gefühl haben, dass uns keine andere Wahl bleibt. Im Inneren rebelliert jedoch etwas. Wenn diese innere Rebellion nicht verstanden wird, kann sie in eine psychische oder psychosomatische Erkrankung führen.
Als Carl Rogers, der Begründer der Klientenzentrierten Gesprächstherapie, das erkannte, wandte er sich gegen alle psychotherapeutischen Verfahren, in denen der Therapeut als Autorität und Experte auftritt. Rogers formulierte es folgendermaßen: „Der direktive Standpunkt legt großen Wert auf soziale Übereinstimmung und das Recht des Fähigeren, den Unfähigeren zu lenken.“ (zit. Rogers). Im Gegensatz dazu: „Der nicht-direktive Standpunkt legt großen Wert auf das Recht jedes Individuums, psychisch unabhängig zu bleiben und seine psychische Integrität zu erhalten.“ (zit. Rogers).
In einer Nicht-Direktiven Therapie übernimmt die Klientin bzw. der Klient die Rolle des Experten für sich selbst. Die Therapeutin oder der Therapeut sind professionelle Begleiter, die dabei helfen, dass der Prozess des Verstehens und der Heilung in einer reflektierten und bewussten Form voranschreiten kann. Dies ist ähnlich wie eine gute Hebamme den natürlichen Prozess der Geburt gemäß den Bedürfnissen der werdenden Mutter unterstützt, ohne ihr aufzudrängen, wie geboren werden soll.
Sich auf eine Nicht-Direktive Therapie einzulassen bedeutet, sich selbst besser kennen zu lernen und die Fähigkeit zu entwickeln, verantwortungsvoll und wertschätzend mit sich selbst umzugehen. Es handelt sich nicht um einen Prozess, der von einer äußeren Autorität gelenkt wird, sondern um aktive Selbstzuwendung, die durch eine vertrauensvolle und einfühlsame therapeutische Beziehung ermöglicht wird.