Die Geschichte vom ungehörten Wiener

Die Geschichte vom ungehörten Wiener

Die Geschichte vom ungehörten Wiener 150 150 Psychotherapie für Erwachsene

Es war erst gestern, als ich die Gelegenheit hatte in einem, sagen wir, recht urigen Wiener Gasthaus zu Mittag zu essen. Das Menü war recht klassisch und somit war dabei nicht viel falsch zu machen. Es gab Grießnockerlsuppe und Faschierten Braten mit Kartoffelpüree, fein garniert mit Zwiebelringen.

Wie ich dort so alleine saß – es war im Gastgarten und die Hitze war drückend, so dass es schwer fiel, sich mit eigenen Gedanken abzulenken, wanderte meine Aufmerksamkeit zu einem der Nebentische. Dort saßen drei Personen, zwei Männer und eine Frau. Wie sich später herausstellen sollte, waren Mann und Frau, die nebeneinander saßen, ein Ehepaar. Der Mann gegenüber war mit ihnen befreundet. Als meine Aufmerksamkeit sie erfasste, war dieser Mann gerade am sprechen. Er hatte eine raue Stimme und sein Dialekt, verbunden mit diesem subtilen Schlag in der Zungenführung, der mich an meinen Heimatbezirk Favoriten erinnerte, zeichnete ihn als eingeborenen Wiener aus. Ein Original eben. Zudem trug er kurze Hosen mit schweren Arbeitsschuhen. Das in Verbindung mit seinen kräftigen Händen interpretierte ich als Anzeichen dafür, dass es sich um einen körperlich hart arbeitenden Menschen handelte. Jemanden, der sein täglich Brot mit viel Schweiß verdient. Ich wage zu behaupten, dass er mindestens 50 Jahre alt war, vielleicht sogar gerade erst Geburtstag hatte. Dies schloss ich aus dem relativ neu aussehenden T-Shirt, eines, wie man es zu runden Geburtstagen geschenkt bekommt, um dem Beschenkten mit witzigen Sprüchen sein Alter quasi auf die Brust zu schreiben. Jedenfalls schien er das T-Shirt mit Stolz zu tragen, als er einen tiefen Zug von seiner Zigarette machte und sich dann mit einem Schluck von seinem Obi G’spritzt weiter erfrischte. Es klingt vielleicht paradox, aber dieses Bild betrachtend hatte ich schon den Eindruck, dass es sich um einen sehr sensiblen und feinfühligen Mann handeln musste. Und, obwohl die Wahrscheinlichkeit groß war mich zu täuschen, fand ich die Bestätigung dafür in dem, was weiter geschah.

Aufgrund der Lautstärke der Unterhaltung war es mir fast nicht möglich, nicht hinzuhorchen. Bei dem Versuch, mich respektvoll mit einem Buch abzulenken, scheiterte ich kläglich. Wie bereits erwähnt, war unser Wiener Original gerade am erzählen. Er sprach über seine Mutter, die vor kurzem an Krebs erkrankt war. Vor kurzem musste er mit ihr ins Krankenhaus. Er begann gerade damit zu erzählen, wie schwierig dieses Erlebnis für ihn war, die eigene Mutter so leiden zu sehen, ihren baldigen Tod vor Augen. In diesem Moment antwortete sein Freund auf die Erzählung: „Des muass jo schrecklich fia di gwesn sei!“

Kurz, für wenige Augenblicke, ist mir in diesem Moment das Herz aufgegangen. Ich dachte: „Wow, dieser Mensch interessiert sich für die Gefühle seines Freundes und geht auch darauf ein.“ Auch merkte ich das kurze Aufflackern in den Augen unseres Originals. Innerlich bestärkt durch diesen Anflug eines empathischen Verständnisses sagte er: „Jo, du konnst da goar net vuastön wia schrecklich des is, wonn die eigne Mutta so leidn muass. Gleizeitig is si oba a ka anfocha Mensch…“

Das war es. Der Augenblick war vorbei. In diesem Moment unterbrach ihn sein Freund: „Jo, des kenn i. Mit die Miatta hot ma’s net leicht. Vua oim mit de Schwiagamütta. Oiso die Mutta meiner Frau mocht ihr des Lebn schwer, net woar Schatzl?“

Unser Original, mit seiner angeborenen Wiener Hartnäckigkeit, lässt sich jedoch noch nicht aus dem Konzept bringen. Der Augenblick, in dem er verstanden wurde, schien einfach zu schön gewesen zu sein. Noch einmal setzt er an: „Waßt, i lieb mei Mutta sehr, oba scho ois i a Kind woar, konnt sie sehr zurnig werdn und do hob i so einige Watschn kassiert.“

Sein Freund bleibt konsequent: „Jo, die g’sunde Watschn. Heut zu Tog gibt’s des so goar nimma. Wie geht’s eigentlich deina Frau?“

In diesem Moment glaube ich, einen Hauch von Traurigkeit über das Gesicht unseres Originals blitzen zu sehen. Wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit er sich dessen bewusst war. Ein tiefer, schwerer Zug von seiner Zigarette wischt die Traurigkeit weg, entführt ihn in eine andere geistige Welt. Eine Welt, die jedoch nicht weniger schwer zu bewältigen scheint. Das sehe ich daran, wie sein Blick in die Ferne schweift. Es scheint mir fast so, als ob er gerade das Gesicht seiner Frau vor Augen hat.

Unser Original nimmt all seinen Mut zusammen: „Jo, wast, in letzta Zeit, do streit ma recht fühl. I hob des Gfüh, dass zu vü dringt….“

Der Freund zeigt kein Erbarmen mehr: „Wast, i drink a jedn Tog mei Bier“, zu seiner Frau gebeugt, „net woar Schatzal? Des is bei uns gonz normal.“

Das war der Moment, wo das Bedürfnis nach echtem, tief persönlichen Austausch in unserem Original zusammenbrach. Seine Augen wurden matt und er fiel unmerklich zurück in die Rückenlehne seines Stuhls. Im nächsten Moment setzte er ein kunstfertig gelerntes Lachen auf. Jene Art von Gesichtsausdruck, den Menschen haben, wenn sie sich dazu aufmachen, eine belanglose Konversation zu führen, einfach nur um die Zeit tot zu schlagen. Unser Original hatte sich in sein Schicksal ergeben und das nächste was er sagte, war die Frage, welche Biersorten sein Freund derzeit bevorzuge. In diesem Moment glaube ich eine Erleichterung in den Gesichtszügen des Freundes wahrgenommen zu haben. Vielleicht war er froh, dass er den Fehler, unser Original zu verstehen nicht noch einmal begangen hatte und nach drei Anläufen endlich klar war, dass er nicht über irgendwelche belastenden Lebensthemen sprechen möchte.

Was ich an diesem Tag erlebt habe, steht für mich exemplarisch für viele verunglückte Kommunikationen in unserer Gesellschaft. Viele Menschen versuchen tagtäglich mit Menschen, die ihnen nahe stehen, über das zu sprechen, was sie in ihrem Leben gerade bewegt und beschäftigt. Sie suchen nach jemandem, der ihnen zuhört, werden aber von niemandem gehört. Was passiert, wenn da niemand ist, der wirklich zuhört, der sich im Moment nur für mich interessiert? Ohne zu versuchen, das Thema zu wechseln oder durch billige Ratschläge schnell vom Tisch zu wischen. Ist die Folge nicht Depression und innere Verbitterung, gar Entfremdung? Was sollte es sonst sein, wenn ich spreche, aber niemand mich hört?

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