Diese Geschichte beginnt mit Regen, Sturm und Kälte. Und das im Hochsommer! Wir befanden uns auf ca. 2.000 Metern Seehöhe irgendwo in den österreichischen Alpen. Endlich erblickten wir in der Ferne eine voraussichtlich bewirtschaftete Hütte. Noch einmal nahmen wir all unsere Kräfte zusammen. Unsere Muskeln spannten sich, denn das Ziel vor Augen beflügelt. In solchen Momenten erkennen wir, wie wichtig erreichbare bzw. greifbare Ziele für uns Menschen sind. Sie geben uns die Kraft, dem Sturm zu trotzen und lassen uns weitergehen.
In der freudigen Erwartung einer wärmenden Tasse Kaffees betraten wir die massiv gebaute Hütte. Sich von einem Tisch mit Gästen aufschwingend begrüßte uns im gleichen Moment ein genauso massiv gebauter Wirt. Herzlich nahm er uns in Empfang – einen Scherz über unseren Wagemut, uns durch den Sturm zu kämpfen, auf den Lippen. Befanden wir uns vorher in einem Sturm, der aus den Verschiebungen verschiedener Luftströmungen entstand, so befanden wir uns nun in einem Sturm von Kommunikationen, der entsteht, wenn eine zutiefst extravertierte Person, in diesem Fall der Wirt, auf Publikum stößt.
Uns bot sich ein herrliches Schauspiel und wir waren unverhofft zu Nebendarstellern in diesem geworden. Andere Gäste erzählten uns, unseren fragenden Blicken zuvorkommend, dass der Wirt nicht damit gerechnet hatte, dass an diesem Tag Gäste kommen würden. Auch wir spürten richtig, wie glücklich er war, dass er bei dem Wetter nicht alleine auf der Hütte sitzen musste. Er tanzte buchstäblich durch den Raum, ständig einen Schmäh oder lustigen Kommentar auf den Lippen. Sein Lachen war so breit wie das der fülligen Buddhafigur auf seinem T-Shirt, welches durch seinen „Waschbärbauch“, über den er selbstironisch zu scherzen pflegte, an Volumen gewann. Die Arbeit schien ihm leicht von der Hand zu gehen. Um die allgemeine Stimmung anzuheizen, die ihm noch nicht ausgelassen genug war, verteilte er ungebeten, aber spendabel Zirbenschnaps an besonders in sich gekehrte Gäste – wohl in dem Bedürfnis, diese aus sich herauskehren zu lassen.
Dieser Wirt ist für uns in seiner ausgelassenen, offenen und kommunikativen Art ein Musterbeispiel für einen sehr positiv gestimmten und dabei extravertierten Menschen. Einen Menschen also, der seine größte Freude und Energie aus dem Beisammensein mit anderen Menschen bezieht – denn das ist ein typisches Merkmal von Extraversion. Für uns, die wir eher introvertierte Menschen sind, also unsere Freude aus der inneren Auseinandersetzung mit uns selbst ziehen, die wir eher nachdenklich und privat sind, ist das manchmal eine ganz schöne Herausforderung. Extravertierte Menschen, so nett sie auch sind, können uns schnell überfordern und verunsichern. Vor allem, da wir bei weitem nicht so schlagfertig sind. Sie wirken dann auf uns grenzüberschreitend, unachtsam und vielleicht sogar unhöflich. Unsere Bedürfnisse nach Ruhe, Ordnung, pietätvoller Distanz und Privatheit, die so tief in einer introvertierten Seele verankert sind, können da manchmal ganz schön frustriert werden.
Hierin liegt aber aber auch die große Gefahr für den introvertierten Menschen. Ihm kann es durchaus passieren, dass er sich in die soziale Isolation flüchtet, beginnt, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen oder sich nur in ganz bestimmten, eingeschränkten Zirkeln zu bewegen. Er riskiert dadurch depressiv, entfremdet, weltfremd und einsam zu werden.
Selbst zu Introversion neigend finden wir es daher lohnenswert, sich immer wieder auf die ganz spezielle und für uns manchmal fremde Energie extravertierter Menschen einzulassen. Sie hilft uns, aus unserer Innenwelt auszubrechen und ohne viel nachzudenken mit anderen in Kontakt zu kommen. Auch wenn wir nie diese Leichtigkeit in der Kontaktaufnahme zu anderen entwickeln werden (außer es handelt sich um einen institutionellen Kontext bzw. eine soziale Rolle, die wir ausfüllen und welche uns gleichzeitig Ordnung, Sicherheit und einen klaren Rahmen für unsere Kontaktaufnahme bietet), lernen wir zumindest ein wenig entspannter im Umgang mit anderen zu sein.
Wir möchten an dieser Stelle diesem geheimnisvollen Wirten danken, der uns durch seine Art aus unserem Schneckenhaus (in dem es übrigens sehr gemütlich ist) herausgeholt hat und innerhalb von wenigen Sekunden in der Lage war, zwischen all den Menschen inmitten von Regenwolken, Sturmböen und Kälte eine herzliche Verbundenheit herzustellen. Ohne ihn hätten wir nie Kontakt zu den anderen Gästen aufgenommen – und dieser Kontakt war doch eine schöne Abwechslung zu unseren langen Wanderungen zu zweit. Als wir uns wieder anschickten, die Hütte hinaus in die Kälte anzutreten, verabschiedete er uns mit festem Händedruck und anschließend einer liebevollen Umarmung. Da spürten wir, wie sehr er uns mit seinem Charme und seinem Frohmut innerlich berührt hatte.